Gesundheitsamt · Zwangssterilisierungen

Text: Klaus Schäfer

Nach 1933 wurde das Gesundheitswesen den bevölkerungs-politischen Zielen des Regimes unterstellt und die „Erb- und Rassenpflege“ in den Vordergrund gestellt. Geistig und körperlich kranke Menschen wurden in der nationalsozialistischen Ideologie als Ballastexistenzen“ eingestuft.. Durch Rassenhygiene und Leistungsmedizin sollten die „deutsche Rasse“ quantitativ und qualitativ gefördert und sogenanntes „lebensunwertes Leben“ selektiert und „ausgemerzt werden. Ab 1934 begannen Zwangssterilisierungen von Behinderten und geistig Kranken sowie Menschen die an Alkoholismus litten. Dies erfolgte auf Grundlage des „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Dies Gesetz wurde im Juli 1933 beschlossen und trat am 1. Januar 1934 in Kraft. Es bot aufgrund unbestimmter Definierungen wie z.B. angeborener Schwachsinn sowie der Tatsache, dass viele psychische Erkrankungen per se als vererblich definiert wurden, breiten Raum für Willkür. Auch Taubstumme wurden hier zugeordnet und systematisch erfasst und sterilisiert. Die Opfer waren nicht mehr durch das Strafgesetzbuch geschützt.

Die Erfassung der Opfer erfolge durch die Amtsärzte der Gesundheitsämter und durch die Leiter der Landesheil- und Pflegeanstalten. Schon bei schulärztlichen Untersuchungen wurden „erbbiologische“ Erfassungen durchgeführt. Bei der Geburt sollten Hebammen missgebildete Kinder melden. Die Leiter der Landesheil- und Pflegeanstalt in Hildesheim, Dr. Grimme, arbeitete bei der Erfassung und Meldung der zu sterilisierenden Patienten bereitwillig mit. Allein im Jahr 1935 stellte er für 135 Insassen seiner Anstalt Anträge auf Sterilisierung. 1936 waren 189 Patienten davon betroffen. Insgesamt wurden ca. 600 – 700 Insassen der Anstalt Opfer der Zwangssterilisierung. Einige Patienten überlebten den Eingriff nicht. Teilweise gab es Beschwerden gegen die Anträge von Dr. Grimme, die sich zumindest in einen Fall direkt gegen ihn richteten. Sie wurde jedoch vom Reichsministerium des Inneren als unbegründet zurückgewiesen. In der Provinz Hannover wurden 27 % der Patienten der Anstalten zwangssterilisiert. Im Reichsdurchschnitt waren es 18 %.

Die niedergelassenen Ärzte waren zur Meldung von Patienten, die unter das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ fielen, per Erlass fielen verpflichtet. In einen Schreiben des Regierungspräsidenten in Hildesheim von April 1936 wurde jedoch festgehalten: „Die Beteiligung der praktischen Ärzte an der Meldung von Erbkranken ist in allen Kreisen des Bezirkes sehr gering.“

Oft wehrten sich die Betroffenen mit Anwälten gegen Verfügungen zur Sterilisation. Dies war in vielen Fällen erfolgreich. Zudem gas es eine Fülle von Eingaben und Beschwerden bei NS-Verbänden, Ministerien, Regierungspräsidenten und Reichsstatthaltern. Auch aus kirchlichen Kreisen (überwiegend katholischen Kreisen) gab es Proteste. Im heutigen Landkreis Hildesheim erfolgten die Sterilisierungen im städtischen Krankenhaus Hildesheim (Männer und Frauen) und im Johanniter-Krankenhaus in Gronau (nur Männer).

Im Gebiet des Deutschen Reiches wurden über 300 000 Menschen zwangssterilisiert, davon 20 000 in Niedersachsen. Im Regierungsbezirk Hildesheim waren es mehr als 3200.

1935 wurde mit dem „Ehegesundheitsgesetz“ ein weiteres Willkürinstrument geschaffen. Nun mussten „Ehetauglichkeitszeugnisse“ bei den Gesundheitsämtern eingeholt werden. Beim Gesundheitsamt Hildesheim wurden vom 1. Januar 1937 – 30. Juni 1937 insgesamt 1365 „Ehestandsdarlehenbewerber“ untersucht. 74 Personen wurde die „Eignung zur Ehe“ abgesprochen. Ein solches Ergebnis konnte auch dazu führen, dass das Gesundheitsamt einen Antrag auf Zwangssterilisation beim „Erbgesundheitsgericht“ stellte.


Quelle:
Raimond Reiter, Psychiatrie im Dritten Reich in Niedersachsen, Hannover 1997

Landesheil- und Pflegeanstalt „Sülte“ in Hildesheim