Siegfried Gross

Text: Hartmut Häger

Siegfried Gross war der erste Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Hildesheim nach 1945.
Er ist am 9. November 1899 in Krenau in Ost-Oberschlesien geboren. Mit dem Raum und der Stadt Hildesheim kam er erstmals in Berührung, als er am 31. Juli 1923 Frieda, die Tochter des Kaufmanns Max Nussbaum und seiner Frau Pauline, in Hohenhameln standesamtlich und in der Hildesheimer Synagoge rituell heiratete. Zu der Zeit arbeitete er als Handelsvertreter für einen Spirituosenhersteller.
Er lebte von 1923 bis 1928 in Berlin und bis 1939 in Katowice. Dort gehörte er der SPD und dem Deutschen Volksbund an. Im September 1939 flüchtete er mit seiner Familie vor der deutschen Wehrmacht nach Lodz. Sofort wurden sie ins dort errichtete Getto verschleppt und nach dessen Auflösung am 27. August 1944 weiter nach Auschwitz deportiert. Dort wurde er von seiner Frau getrennt, die bald danach ermordet wurde. Siegfried Gross und seinem Sohn Fritz gelang es, auf ihrem Leidensweg durch die Arbeiterlager Kaltwasser/ Niederschlesien, Schotterberg, Groß-Rosen, Märzbachtal und Wüstegiersdorf zusammenzubleiben. Nach der Auflösung des Lagers Wüstegiersdorf am 16. Februar 1945 überlebten sie einen 80-Kilometer-Todesmarsch und eine 17-tägige Bahnfahrt, schutzlos im offenen Güterwaggon, nach Bergen-Belsen. Am Tag nach der Ankunft wurden die beiden zusammen mit etwa 500 jüdischen KZ-Häftlingen am 2. März nach Hildesheim zu Aufräumungsarbeiten auf dem Güterbahnhof gebracht. Das Arbeitskommando war dem KZ Neuengamme unterstellt und in der Stadthalle, Neue Straße 21, untergebracht. Siegfried und Fritz Gross überlebten drei Bombenangriffe, auch den am 22. März 1945, bei dem die Stadthalle zerstört wurde. Nach einigen Nächten unter freiem Himmel kamen die Überlebenden nach einem Drei-Tage-Marsch in Ahlem an, wo sie bei der Zementherstellung arbeiteten. Am 6. April 1945 traten sie einen Todesmarsch nach Bergen-Belsen an, wo sie am 8. April ankamen und am 15. April – todkrank – von den Alliierten befreit wurden. Erst am 8. Juli konnten sie das Lager entlassen.
Kurz danach erreichten sie Hildesheim, wo sie sich vergeblich ein Wiedersehen mit der Familie erhofften. Von Seiten seiner Frau waren 32 Personen umgekommen, aus seiner Familie 19. Im Dezember 1945 bezog Siegfried Gross eine Wohnung in der Goethestraße 17, wo er bis 1959 wohnte. Im gleichen Jahr gründete er in der Osterstraße einen erfolgreichen Wein- und Spirituosen Groß- und Einzelhandel. Der Regierungspräsident ernannte ihn zum Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde. Fritz heiratete am 22. März 1946 Felizia Steinfeld, Siegfried am 31. März 1946 Bronka Bornstein, geb. Wollhändler, im jüdischen Zentrum Bergen-Hohne. Die standesamtliche Trauung wurde drei Jahre später in Hildesheim nachgeholt.
Siegfried Gross wurde am 15. März 1946 Mitglied im ernannten Bezirkslandtag; am 24. Oktober 1946 entzog ihm die britische Militärregierung das Mandat, weil er nicht die deutsche Staatsangehörigkeit hatte. Erst neun Jahre später gelang ihm die Einbürgerung.
1946 bewirkte er die würdige Beerdigung von neun namenlos verscharrten Mithäftlingen, denen er mit dem Grabstein für die „9 Opfer des Rassenhasses“ auf dem jüdischen Friedhof an der Peiner Straße ein bleibendes Mahnmal setzte. Auch bei der feierlichen Einweihung des Synagogen-Denkmals auf dem Lappenberg am 22. Februar 1948 wirkte Gross mit. Bis 1959 kümmerte er sich als Vorsitzender um die Belange der rund zwanzigköpfigen Jüdischen Gemeinde und um den Schutz der jüdischen Friedhöfe. Im April 1959 verkaufte er sein Unternehmen und zog im November 1959 nach Bad Nauheim, wo er ein Geschäft für Goldschmuck und optische Geräte eröffnete. Nach dem Tod seiner zweiten Frau zog er 1972 nach Bad Kreuznach. Dort heiratete er zum dritten Mal und zog 1973 nach Wiesbaden-Klarenthal um. Dort starb Siegfried Gross am 24. März 1977. Sein Sohn veranlasste seine Bestattung auf dem jüdischen Friedhof in Frankfurt am Main.

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Siegfried Gross 1975
Grabstein für Rassenhassopfer